![]() |
Armer
Schmock - der Jude in G. Freytags 'Journalisten' Jürgen Matoni in: Gustav Freytag Blätter Nr. 48 (1990), S. 28 - 38. Der 'berühmteste' Jude in Freytags Werken ist ohne Zweifel Veitel Itzig aus 'Soll und Haben'. Er hat vielen Interpreten immer wieder dazu gedient, Freytag des Antisemitismus zu bezichtigen - meist mit nicht sehr fundierten Argumenten, doch mit Erfolg. Wie 'Soll und Haben' Freytags berühmtester Roman ist, so sind 'Die Journalisten' Freytags berühmtestes Theaterstück, und auch in diesem gibt es eine jüdische Gestalt, den Journalisten Schmock. Im Gegensatz zum Roman 'Soll und Haben', der unangefochten als das Werk des gebildeten Bürgertums gelten kann und ohne Widerstand das Publikum eroberte, haben die 'Journalisten' nicht überall sofort die Bühnen erobert. Gerade wegen ihrer liberalen Haltung wurden sie z. B. in Berlin nicht aufgeführt und vom Intendanten v. Hülsen abgelehnt:
v. Hülsen hat fünf Jahre später (1857) Abbitte geleistet und die Journalisten doch noch auf das Königliche Schauspiel gebracht.(2) Im Gegensatz dazu, mußte Heinrich Laube(3) in Wien eine "kleine Hinterlist anwenden" um ihre Aufführung zu erreichen:
Es ist also der Figur des Schmock zu verdanken, daß Freytags Werk mit großem Erfolg in Wien aufgeführt werden konnte. Nun wirft diese 'Hinterlist' Laubes ein bezeichnendes Licht auf die Bewertung des Schmock. Für den Hof in Wien galt er als 'nicht schmeichelhaft für den Journalistenstand', und gerade aus diesem Grunde hat man die 'Journalisten' akzeptiert. So wird er auch oft von anderen Interpreten gesehen und ist als Typ des rückgratlosen Schreiberlings in viele Theaterstücke übernommen worden.(5)
Mit diesem 'Bekenntnis' wurde Schmock zum Vorbild des 'gesinnungslosen' Schreibers, der ohne moralischen Anspruch alles für jeden schreibt, der zahlt.(7) Anders als Veitel Itzig aus 'Soll und Haben' wird er nicht so stark als Beleg für Freytags angeblichen Antisemitismus gesehen - was aber doch oft auch die Diskussion um diese Figur belastet(8) - aber er ist immer wieder als Negativfigur gesehen worden, besonders in Hinblick auf die Figur des Bolz, der für viele Interpreten das genaue Gegenteil von Schmock darstellt. Schmock ist der Journalist des Coriolan, der konservativen Zeitung, die gegen die Union, eine liberale Zeitung mit unlauteren Mitteln zu Felde zieht, um Oberst v. Berg das Mandat als Abgeordnetem zu sichern.(9) Doch ist er ein Getriebener, getrieben und gedemütigt von Blumenberg dem Redakteur des Coriolan, der in Schmock höchstens einen nützlichen Idioten sieht. "Er ist ein ordinärer Mensch, aber er ist brauchbar."(10) Welche Rolle Schmock in den Journalisten spielt ist in den meisten Untersuchungen bisher eher nebenbei behandelt worden.(11) Die Frage nach den Hauptpersonen des Stückes wurde weitgefächert beantwortet, jedoch Schmock taucht nicht dabei auf. Wenn wir versuchen die Gestalt des Schmock zu charakterisieren, müssen wir berücksichtigen, daß Freytag seine 'Nebenpersonen' nur mit wenigen, charakteristischen Strichen zeichnete, den Rest mußten die anderen Personen seine Stücke erledigen.
In einer Rezension zu einer Aufführung der Journalisten im Jahre 1884, beklagte Otto Brahm die Eigenmächtigkeiten der Schauspieler in bezug auf die Textgestalt und, "wie wenig die Darsteller davor scheuten, Änderungen und Zutaten vorzunehmen."(14) Besonders dem Darsteller Schmocks (Engel) wirft er vor, 'den Schmock in eine niedrigere Region versetzt' zu haben, 'als der Autor gemeint hat'.(15) Doch schwerwiegender als diese schauspielerische 'Auffassung' der Darbietung sind für Brahm die textlichen Änderungen:
Dagegen beklagt Berthold Auerbach die Zeichnung des Schmock bei Freytag:
Der eine, Otto Brahm, beklagt die Eigenmächtigkeit der Schauspieler, die Freytags Schmock 'in eine niedere Region versetzt haben', der andere, Auerbach beklagt, daß Freytag gegen die 'wirklichen' jüdischen Journalisten mit seinem Schmock unrecht gehandelt hat. Es ist also zu fragen, wie die Gestalt des Schmock zu ihren widersprüchlichen Interpretationen gekommen ist, und warum kaum einer der Interpreten der 'Journalisten' ihn in die Reihe der Hauptpersonen aufnimmt, obwohl gerade Schmock eine Schlüsselfigur des Schauspiels ist.(18) Horst Kreyßig verweist in seinem Nachwort zu den 'Journalisten'(19) auf eine Stelle in Freytags 'Technik des Dramas', die eine Lösung für dieses Problem bieten kann. Er zitiert die Stelle aus der Technik, in der Freytag auf die Charakterisierung der Haupt- und Nebenfiguren im Drama eingeht, wobei Freytag auf das Problem verweist, daß die 'Züge', die ein Dichter seinen Hauptpersonen geben kann, nur gering sind,
'Nebenfiguren' werden also nur mit wenigen Andeutungen gezeichnet. Diese müssen ausreichen sie zu charakterisieren, ihnen Leben zu verleihen. Dabei kommt natürlich dem Leser oder dem Zuschauer eine wichtige Rolle zu. Er muß ergänzen, muß sich selbst den 'Rest' hinzuerfinden, sich die Figur in ihrer ganzen Lebendigkeit selbst vorstellen.
Die Einstellung und Haltung des 'Empfangenden' ist Freytag zufolge ein wichtiger Teil der Charakterisierung. Trotzdem können damit die disparaten Interpretationen nicht erschöpfend erklärt werden, besonders dann nicht, wenn man sieht, daß der Anteil, den Schmock an der Handlung hat, ihn nicht zu einer wirklichen 'Nebenfigur', wie z. B. Frau Piepenbrink macht.(22) Schmock ist 'eine für den Ausgang des Stückes wichtige Person'(23), der in die Intrige gegen Oldendorf und seine 'Union' eingreift und sie scheitern läßt. Also keine 'Nebenfigur' in Freytags Sinne, sondern eine Figur, deren Wichtigkeit nicht unterschätzt werden darf.(24) Seinen ersten Auftritt hat er als Bote für Blumenberg, dem Redakteur des Coriolan, wobei Freytag gleich zweierlei klarmacht. Erstens wird deutlich, daß Schmock von Blumenberg nur als minderes Lebewesen gesehen wird, und zweitens, daß sich Schmock gegen diese Behandlung wehrt.
Dieser Auftritt Schmocks könnte den Eindruck erwecken, als sei Schmock tatsächlich eine Nebenfigur und diene nur dazu, Blumenbergs Einstellung zu verdeutlichen. Wenn dazu eigens eine Person eingeführt werden müßte, wäre es zumindest unnötig gewesen, ihn als Juden zu charakterisieren. Jedoch ist Freytag nicht der Schriftsteller, bei dem irgendein Teil seiner Dichtung nur Verzierung ist. Wenn Schmock nur zur Verdeutlichung Blumenbergs eingeführt worden wäre, hätte es der Darstellung der impliziten Auflehnung Schmocks nicht bedurft. Aber der nächste Auftritt Schmocks macht klar, welche 'Aufgabe' er in der Handlung hat. Es ist der Tag des Balls, an dem Oberst v. Berg als Kandidat vorgestellt werden soll und die noch unentschlossenen Wahlmänner, Piepenbrink an der Spitze, für v. Berg eingenommen werden sollen. Wieder wird Schmock als ungeliebtes, aber nützliches Werkzeug vorgeführt.
Abgesehen von der Komik dieses Ausbruches Blumenbergs - eine einzelne Person soll sich in der Menge verteilen - wird auch klar, daß er nicht mit Schmock gesehen werden will. Auf den Hinweis Schmocks, daß er außer Blumenberg keinen Bekannten auf dem Fest hat, antwortet Blumenberg:
Wieder das Aufbegehren des Getretenen, der Ehre auch für sich in Anspruch nimmt. Aber noch mehr wird deutlich. Schmock hat unter den Honorationen der Stadt, die hier alle versammelt sind, keine Bekannten außer Blumenberg. Er ist in dieser Gesellschaft Außenseiter. Blumenberg steht nur stellvertretend für das Establishment, das keinen Platz für Menschen wie Schmock hat. Jedoch ist die Ehre, die Schmock verteidigt gefährdet, gefährdet durch die Umstände, unter denen er leben und arbeiten muß. Das herablassende Anerbieten Blumenbergs, sich etwas zu essen geben zu lassen (mit dem Hinweis darauf, daß Blumenberg das Essen natürlich nicht bezahlt: "Das Komitee wird's bezahlen."), kann Schmock noch ablehnen. Aber sein verzweifelter Ausbruch gegen Blumenberg - natürlich nicht in Anwesenheit Blumenbergs - zeigt seine ausweglose Lage auf:
Schmock ist abhängig von Blumenberg. Er ist sich seiner Lage bewußt und sucht verzweifelt einen Ausweg. Er kann sich jedoch nicht helfen, da er sonst seine Lebensgrundlage verlieren würde. Noch mehr wird klar. Freytag steht auf der Seite Schmocks. Blumenberg hat sich spätestens an dieser Stelle als der miese Intrigant und Schreiberling gezeigt, den einige Interpreten in Schmock sehen wollen.(29) Jedoch, da Blumenberg zur Intrigantenclique des Herrn v. Senden gehört, sind seine Ausbrüche Schmock gegenüber eher geeignet, ihn positiv erscheinen zu lassen. Dies wird auch dadurch erhellt, daß Blumenberg und v. Senden gerade auch den Bürgern gegenüber die gleiche herablassende Haltung einnehmen wie Blumenberg Schmock gegenüber:
Die Einstellung ist klar. Gib den Leuten ein Fest und wir bekommen ihre Stimmen für die Wahl. Daß das, gelinde gesagt, eine etwas undemokratische Ansicht ist und eine ziemlich schlechte Meinung über den Charakter der Bürger bezeugt, ist evident. Im weiteren Verlauf des Festes kommt Bolz mit Kämpe und Bellmaus auf das Fest, um die Intrige v. Sendens und Blumenbergs zu verhindern. Schmock ist derjenige, der sie zuerst entdeckt. In dieser Szene könnte man meinen, daß Bolz die gleiche Haltung Schmock gegenüber einnimmt wie Blumenberg, doch bestimmt das Wissen um die Niederträchtigkeit des Coriolan sein Verhalten. Für Bolz ist Schmock der 'Waffenträger des Coriolan'(31), er ist sein Gegner, gehört für ihn mit zur Intrige. So ist es nicht verwunderlich, daß Bolz ihm nicht sehr positiv gegenübertritt. Jedoch verhält er sich Schmock gegenüber nicht viel anders als gegen seine Freunde Bellmaus und Kämpe. Bolz ist der lebenslustige und witzige 'Tausendsassa'(32), der nichts ernst nimmt. Da er aber eine vollständig positive Gestalt ist, wirkt sein Verhalten nicht so herablassend. Er muß aber Schmock beschäftigen, ihn aus dem Sichtkreis entfernen, da sonst die Gefahr besteht, daß sein Eindringen frühzeitig bemerkt wird. So schickt er Schmock mit Bellmaus fort, damit dieser Schmock mit Hilfe von Punsch einige Geheimnisse 'besonders über die Wahlen' entreißen kann. In dieser Szene spricht Schmock seine berühmten Worte, die ihn in so fataler Weise zum 'Vorbild' machten.
Mit diesen Worten möchte er eine Anstellung bei der Union bekommen. "Ich möchte gern bei honetten Menschen sein, wo man seinen Verdienst hat und eine anständige Behandlung." Jedoch geht Bolz (in dieser Situation verständlich) ironisch über sein Ansinnen hinweg:
Von dieser Szene und dem berühmten Ausspruch Schmocks wird von vielen Interpreten nur ein Teil zitiert: "Ich habe geschrieben links und wieder rechts"(35). Jedoch sollte man nicht außer acht lassen, wer ihn zu diesem 'gesinnungslosen Tintenkuli' gemacht hat, wenn er denn tatsächlich einer ist. "Ich habe bei dem Blumenberg gelernt, in allen Richtungen zu schreiben", wird oft vergessen. Blumenberg hat ihn aus den schon dargelegten Gründen dazu gebracht so zu werden, wie er jetzt erscheint. Wir haben aber auch gesehen, daß Schmock sich dagegen wehrt und daß er diese Art nicht will. Deshalb sein Gesuch bei der Union, bei 'honetten Menschen' zu arbeiten. Wenn wir bei unseren Überlegungen auf die Sprache Schmocks achten, stellen wir fest, daß mit dem jüdischen Einschlag (Verben voranstellen usw.) nicht nur die Figur Schmock selbst gekennzeichnet wird, was Freytag ja bekanntlich oft zum Vorwurf gemacht wurde, sondern, daß die Haltung Schmocks gegenüber Blumenberg noch verdeutlicht wird. Nicht Herr oder einfach Blumenberg, sondern 'bei dem Blumenberg'. So wird in dieser Szene der unglückliche Mensch vorgestellt, der genau weiß, daß Blumenberg nicht 'honett' ist, aber keine Möglichkeit findet, sein Los zu ändern. Bolz scheint in dieser Szene kein Mitleid zu haben. Doch als er Korb (den Diener Adelheids) hinter Bellmaus und Schmock herschickt, um auch ihn aus dem Wege zu haben, sagt er doch: "Armer Schmock."(36) Ob es ihm nur darum zu tun ist, daß der 'arme Schmock' jetzt von zwei Leuten mit Punsch traktiert wird, kann kaum entschieden werden. Doch das Mitleid ist zu konstatieren und positiv zu werten. Armer Schmock, er hat die undankbarste Aufgabe in diesem Spiel, wird von allen getreten und mißachtet und von vielen Interpreten geschmäht. Doch seine Stunde kommt noch. Der Punsch hat gewirkt und Schmock hat geredet:
Auf die Frage Adelheids nach der Zuverlässigkeit Schmocks, kann sich Bellmaus nicht so recht entscheiden: "Ich glaube, er ist ein guter Kerl, aber anständig? Nein, das ist er nicht."(38) Bellmaus kann Schmock nicht 'anständig' finden, denn er hat wenig in 'guter Gesellschaft gelebt und war bis jetzt Mitarbeiter des Coriolan'. Wer beim Coriolan arbeitet, kann natürlich für Bellmaus kein anständiger Mensch sein, er sagt aber auch, daß Schmock 'bis jetzt Mitarbeiter am Coriolan war', nicht, er ist Mitarbeiter beim Coriolan. - Es bleibt also Hoffnung für Schmock, denn er ist ja ein 'guter Kerl'. Die Intrige ist gelaufen und hat nicht die Wirkung gehabt, die sich v. Senden und Blumenberg erhofft haben. Professor Oldendorf hat gegen Oberst v. Berg gewonnen und ist zum Abgeordneten gewählt worden. Die Versöhnung zwischen den beiden steht noch aus, so daß v. Bergs Tochter Ida Oldendorf nicht heiraten kann. Das ist die Stunde Schmocks. Er wird von Adelheid zu sich gerufen und im Beisein des Oberst legt Schmock die Papiere vor, die zeigen, daß v. Senden und Blumenberg den Oberst hintergangen und benutzt haben.(39) Weil der Oberst ein 'humaner' Mensch ist (der Schmock sogar ein Frühstück hat servieren lassen), will er ihm helfen: "Warum soll ich ihn hintergehen lassen von diesen Menschen."(40) Auf die Frage Adelheids, ob sie Schmock irgendwie helfen könne, findet Schmock nichts, was ihm fehlt, bis auf die Tatsache, daß er lieber aus der Literatur herauswolle und erzählt von der schlechten Behandlung und Bezahlung durch Blumenberg, so daß Oberst v. Berg nur noch fragen kann: "Ist so etwas möglich?"(41) Und dann kommt die Szene, von der Brahm ezählt,(42) und in der deutlich wird, daß Schmock ein ehrlicher und liebenswerter Mensch ist, der erst nicht glauben kann, daß man ihm das Geld für eine Existenzgründung schenken will und doch darauf besteht, sich erkenntlich zu zeigen, wenn es ihm möglich ist:
Gustav Freytag hat in den 'Journalisten' mit Schmock die liebenswerte unterdrückte Figur eines Journalisten gezeichnet, die durch die Umstände in den Geruch der 'Unanständigkeit' gekommen ist, jedoch darum kämpft, dieser Lage zu entgehen. Die Negativfigur ist nicht Schmock, sondern Blumenberg, der Schmock unterdrückt, mißbraucht und mißachtet. Die 'positiven' Figuren erkennen dies im Verlauf des Stückes. Nur einige Interpreten unterstellen Schmock immer noch, er sei ein 'gesinnungsloser Tintenkuli', und Freytag, er hätte 'aus dem jüdischen Litteraten Schmock eine komische Schnitzelei' gemacht. Anmerkungen: (1) Georg Droescher,
Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz
der Königlichen Schauspiele zu Berlin, S. 143, Deutsche
Rundschau, Jg. 45, Heft 1. Oktober 1918, S. 129-146. vgl.
zu den Ablehnungen der Stücke Freytags: H. H. Houben,
Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur
Gegenwart, Berlin 1924, S. 199 ff. |