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Lyrikinterpretation: Materialien


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Horaz: Quintus Horatius Flaccus (65 - 8 v. Chr.)

Die Dichtkunst (Brief an die Pisonen)

(1)

Wofern ein Maler einen Venuskopf
auf einen Pferdehals setzte, schmückte drauf
den Leib mit Gliedern von verschiednen Tieren
und bunten Federn aus, und ließe (um
aus allen Elementen etwas anzubringen)
das schöne Weib von oben - sich zuletzt
in einen grausenhaften Fisch verlieren,
sich schmeichelnd, nun ein wundervolles Werk
euch aufgestellt zu haben: Freunde, würdet ihr
bei diesem Anblick wohl das Lachen halten?
Und gleichwohl werden Werke dieser Art
in einem andern Fach uns oft genug
zur Schau gebracht. Denn, glaubet mir, Pisonen,
ein Dichterwerk, von schlechtverbundenen
Ideen, die, wie Fieberträume, durch-
einander schwärmen, so daß weder Kopf noch Fuß
zusammenpaßt - und eine Malerei
von jenem Schlag, sind trefflich einerlei.

„Wie? Ist den Malern und Poeten nicht
von jeher freigestanden, alles was sie wollen
zu wagen?“ - Freilich! auch Wir machen Anspruch
an diese Freiheit, und verlangen Keinem
sie abzustreiten - Nur nicht, daß man paare,
was unverträglich ist, nicht Schlang' und Vogel,
nicht Lamm und Tiger in einander menge!

Wie häufig sehn wir einem ernsten, viel-
versprechenden Gedichte hier und da
wie einen Purpurlappen angeflickt,
der weithin glänzen soll? Da wird ein Hain
Dianens, nebst Altar, ein Silberbach,
der schlängelnd seine Flut durch anmutsvolle
Gefilde wälzt, ein schöner Regenbogen,
und Vater Rhein auf seiner Urne liegend,
gar prächtig hingepinselt - nur daß hier
der Ort dazu nicht war! - Der Maler ist
vielleicht im Baumschlag stark, kann eine hübsche
Cypresse malen - aber auf dem Täfelchen,
worauf ein armer Mann der Schiffbruch litt,
halbtot ans Ufer treibend, für sein Geld
sich malen läßt, was hilft dein schöner Baum?
Du fingest eine prächtige Vase an
zu drehn, und da die Scheibe abläuft, kömmt
ein halber Topf heraus! - Kurz, mache was du willst,
nur, was du machst, sei mindestens Eins und Ganz!

Wir andern Dichter, meine edeln Freunde,
wir fehlen meistens nur vom Schein des Guten
getäuscht, und oft wenn wirs am besten meinen.
Man gibt sich Mühe kurz zu sein, und wird
darüber dunkel, oder nervenlos
indem man leichte Dinge leicht behandeln will.
Ein andrer strebt nach Größe auf, und schwillt;
dafür kriecht jener dort, aus Furcht des Sturms,
der in der Höhe weht, am Boden hin:
und dieser, um recht unerhört zu sagen,
was nur auf Eine Art sich sagen läßt,
malt euch Delphinen in den Busch, und läßt
die Nereid' auf einem Eber schwimmen.

Die Furcht zu fehlen wird die reichste Quelle
von Fehlern, wenn sie nicht vom Kunstgefühl
geleitet wird. Der letzte unter allen
den Meistern, die wir am Aemilschen Fechtplatz
arbeiten sehen, drückt an seinem Bilde
aufs fleißigste sogar die Nägel aus,
ahmt weicher Locken sanftes Wallen bis
zum Wunder nach, und ist und bleibt doch stets
der Letzte, weil er Alles - nur, zum Unglück,
nichts Ganzes machen kann. Für meinen Teil,
ich wollte gleich so lieb, bei schwarzem Haar
und schönen schwarzen Augen, mich der Welt
mit einer krummen Nase zeigen, als
der Dichter sein, der diesem Künstler gliche.

Ihr, die ihr schreiben wollt, vor allen Dingen
wählt einen Stoff, dem ihr gewachsen seid,
und wäget wohl vorher, was eure Schultern
vermögen oder nicht, eh ihr die Last
zu tragen übernehmt. Wer seinen Stoff
so wählte, dem wirds an Gedanken
und Klarheit nie, auch nie an Ordnung fehlen:
und unter manchem Vorteil, der durch Ordnung
gewonnen wird, ist sicher keiner von
den kleinsten: daß man immer wisse was
zu sagen ist, doch vieles, was sich auch
noch sagen ließe, jetzt zurückbehalte,
und für den Platz, wo mans bedarf, verspare.

Auch Sprach' und Versebau und Rhythmus sei
Dem wohl empfohlen, der ein echtes Werk
zu schaffen wünscht. Er kann nicht leicht zuviel
Bescheidenheit und Vorsicht in der Wahl
der Wörter zeigen. Öfters wird ein Vers
vortrefflich, bloß wenn ein alltäglich Wort
durch eine schlaue Stellung unverhofft
zum Neuen wird. Wo neuentdeckte Dinge
zu sagen sind, da ists mit Recht erlaubt
auch unerhörte Wörter zu erfinden,
wenn diese Freiheit mit Bescheidenheit
genommen wird. Auch können neue Wörter
und Redensarten, die vor kurzem erst
aus griechschem Quell auf unsern Grund und Boden
geleitet worden sind, mit Sparsamkeit
gebraucht, ein Recht an gute Aufnahm fordern.
Was kann der Römer einem Plautus und
Cäcil gestatten, das Virgil und Varius
nicht wagen dürften? Oder soll mir übel
genommen werden, wenn ich etwas Weniges
erwerben kann, da Ennius und Cato
die Sprache mit so vielen neuen Wörtern
bereichern durften? Immer wars und bleibts
erlaubt, ein neugestempelt Wort
von gutem Korn und Schrot in Gang zu bringen.
So wie von Jahr zu Jahr mit neuem Laube
der Wald sich schmückt, das alte fallen läßt:
so lässet auch die Sprache unvermerkt
die alten Wörter fallen, und es sprossen neue
ins Leben auf, und füllen ihren Platz.
Wir sind uns selbst und alles Unsrige
dem Tode schuldig. Laß dort einen mit dem Meer
verbundnen Landsee seinen weiten Busen öffnen,
um ganze Flotten vor den Aquilonen
zu schirmen, traun! ein königliches Werk!
Laß jenen schon so lang' unfruchtbarn und des Ruders
gewohnten Sumpf den Pflug erdulden lernen,
und nachbarliche Städte rings umher
mit reichen Ernten nähren - jenen Strom
den Lauf, der unsern Feldern schädlich war,
mit einem neuen bessern Weg vertauschen:
Das Alles, Freunde, wird, als Menschenwerk,
die Zeit zerstören! - Und die Sprache sollte
allein in ewgem Jugendglanze blühen?
Viel abgestorbne Wörter werden wieder
ins Leben kehren, viele andre fallen,
die jetzt in Ehren sind, so wie der Brauch
es fügen wird, bei welchem doch allein
die Macht, hierin Gesetz zu geben, steht.

In welcher Versart Taten edler Helden
und Könige zu singen sich gezieme,
hat uns Homer gezeigt. - In jener, die
den Vers Homers mit einem kürzern wechselt,
verseufzte anfangs nur die Traurigkeit
den sanften Schmerz; allein man fand, daß auch
die Freude, und die ihres süßen Wunsches
gewährte Liebe dieses leichten Ganges
gar schicklich sich bediene: aber wer
Erfinder dessen sei, darüber streiten
die Sprachgelehrten, und der Handel ist
noch unentschieden. Mit dem raschen Jambus
bewaffnete die Wut den zürnenden
Archilochus: doch später wurde dieser Fuß
sowohl der niedern Socke, als dem hohen
Kothurn der Schauspiel-Musen angepaßt.
Man fand, er schicke sich zum Dialog
am besten, sei zur Handlung wie gemacht,
und übertöne leichter als ein andrer
das Volksgetös' im hallenden Theater.

Zur saitenreichen Leier hieß die Muse
die Götter und der Göttersöhne Taten,
die Sieger in den Kämpfen, und das Roß
im Wettlauf siegend, und die Schwärmereien
der feurigen Jugend, Wein und Liebe, singen.

Ein jedes Werk in jedem Dichterfach
hat seinen eignen Farbenton und Stil.
Versteh ich nichts von dieser Farbengebung,
mit welcher Stirne kann ich einen Dichter
mich schelten hören? Oder, warum lieber
aus falscher Scham unwissend sein, als lernen?
Was komisch ist, will nicht im Schwung und Pomp
des Trauerspieles vorgetragen sein;
hingegen ists was unausstehliches,
Thyestens Gastmahl im Gesellschaftston
und Versen, die beinah zur Socke passen,
erzählen hören. Jedes schicke sich
für Ort und Zeit! - Indessen mag zuweilen
auch die Komödie ihre Stimm' erheben,
und einen alten Chremes, dems der Sohn
zu toll gemacht, den Sturm des ersten Zorns
mit Blitz und Donnerschlag vertoben lassen:
so wie Melpomene, sobald sie klagt,
den Ton herabstimmt, und zum simplen Ausdruck
des Volkes sinkt. Wenn Telephus und Peleus
im tiefsten Elend, dürftig und verbannt
aus ihrem Vaterland, des Hörers Herz
mit ihren Klagen rühren wollen, lehrt
sie die Natur ganz einen andern Ton!
Da werfen sie die hohen Stelzen und
die ellenlangen Wörter gerne weg!

Ein Dichterwerk sei schön, sei fehlerfrei,
dies ist sehr viel, allein noch nicht genug;
um zu gefallen, sei es lieblich auch,
und stehle sich ins Herz des Hörers ein,
um, was der Dichter will, aus ihm zu machen.

Ein lachend oder weinend Angesicht
bringt, wie wirs ansehn, augenblicklich auch
ein Lächeln oder einen traurigen Zug
in unsers. Willst du daß dein Unglück mich
zu Tränen rühren soll, mein guter Peleus
und Telephus, so mußt du selber weinen!
Sind deine Reden deiner Lage nicht
gemäß, so werd ich - gähnen oder lachen.
Zu einem trauernden Gesichte ziemen sich
auch traurige Worte. Ruhig, oder zürnend,
mutwillig oder ernsthaft, immer sei die Sprache
der Leidenschaft, der Stimmung angemessen,
die erst aus Miene und Gebärde spricht.
Denn jeder Wechsel unsers Glücks erregt
zuerst im Innern eine Leidenschaft;
Zorn, der zum Widerstand das Blut erhitzt,
die Arme ausstreckt - oder Traurigkeit,
die hoffnungslos zur Erde, wie zum Grabe,
uns niederzieht: und dies, bevor die Zunge
der Seele Dolmetsch wird, und ihre Regung
in Worte ausbricht. Dies ist allezeit
Gang der Natur. Verfehlt der Dichter ihn,
legt seinem Helden in den Mund, was nicht
zu seiner Lage paßt: so darfs ihn nicht befremden,
wenn Ritterschaft und Fußvolk überlaut
ihm, statt zu weinen, an die Nase lachen.

Nicht minder kommt sehr vieles darauf an,
ob die Person, die spricht, der Diener oder
der Herr im Haus, ein reifer Alter, oder
ein junger schwärmerischer Tollkopf ist;
ob eine Fürstin, oder ihre treuergebne
Hofmeisterin; ein Kaufmann, allenthalben
zu Haus und nirgends, oder ob ein Landwirt
der sich von seinem Gütchen nährt; ob er
Assyrer oder Kolcher, ob zu Theben oder
zu Argis auferzogen. Übrigens
soll der Poet entweder an die Sage
sich halten, oder, wenn er dichten will,
das Wahre der Natur zum Muster nehmen.

Führst du Achillen auf, den jeder kennt,
so sei er hitzig, tätig, schnell zum Zorn
und unerbittlich, wolle nichts von Pflichten hören,
und mache alles mit dem Degen aus!
Medea sei trotzig und durch nichts zu schrecken,
die sanfte Ino weich und tränenreich,
Ixion treulos, schwermutsvoll Orest.

Bringst du hingegen etwas auf die Bühne
das nie versucht ward, wagest eine neue
Person zu schaffen - gut! so gib ihr Selbstbestand,
und wie sie sich im ersten Auftritt zeigt,
so führe sie, sich selber ähnlich, bis
zum letzten fort! - Es ist vielleicht nichts schwerers,
als aus der Luft gegriffnen Menschenbildern
das eigne Individuelle geben
was jeden täuscht, und den Erdichteten
uns anverwandt und unsersgleichen macht:
Du wirst daher mit minderer Gefahr
ein Schauspiel aus der Iliade ziehen,
als dich an was ganz neuerfundnes wagen.

Ein Sujet, das der ganzen Welt gehört,
wird wieder Eigentum, wenn du dich weder
auf einem Plan, der zum Gemeinplatz schon
geworden, tummelst, noch, als ein getreuer
demütiger Übersetzer, Wort für Wort
dem Griechen nachtrittst; noch, als bloßer
Nachahmer, dich so sehr zusammendrückest,
daß, etwas wegzulassen, dir die Scham,
hinzuzutun, die Regel dir verbietet.
Auch fange dein Gedicht so laut nicht an,
wie jener alte Cyklische Poet:
„Von Priams Schicksal und dem weitberühmten Krieg
begeb ich mich zu singen“ - Großgesprochen!
Was kann der Mann uns sagen, das, den Mund
dazu so weit zu öffnen, würdig wäre?
Es kreißte, wie die Fabel sagt, ein Berg,
und er gebar, zu großer Lustbarkeit
der Nachbarschaft, ein kleines kleines Mäuschen.
Um wieviel besser Er, der niemals was
unschicklichs vorgebracht: Erzähle mir,
o Muse, von dem Mann, der nach Eroberung
von Troja vieler Menschen Städt' und Sitten sah -
Er gibt kein Feuerwerk das in Rauch sich endet,
erst macht er Rauch, dann folgt ein rein und gleich
fortbrennend Feuer, um die schönen Wunder,
den Lästrigonen-König, und mit Scylla
den Polyphem und die Charybdis uns
darin zu zeigen. Er beginnt die Wiederkehr
des Diomedes nicht von Meleagers Tod,
noch den Trojanischen Krieg von Ledas Eiern.
Stets eilt er, ohne Hast, zum Ende fort,
stürzt seinen Hörer mitten in die Sachen,
als wären sie ihm sein bekannt, hinein,
läßt liegen, was nicht glänzend sich behandeln läßt,
und lügt, mit Einem Wort, so schön, mengt wahr und falsch
so künstlich in einander, daß das Ganze
aus Einem Stücke scheint, und, bis zum Schlusse
sich selber ähnlich, täuscht, gefällt, entzückt.

Nun hör auch du, der auf dem Schauplatz uns
zu unterhalten wünscht, was ich und was
das Publikum mit mir von dir verlangt.
Woferns um Hörer dir zu tun ist, die
des Vorhangs Fall erwarten, und so lange bleiben,
bis uns der Sänger zuruft Klatscht Beifall!
so mußt du jedes Alter richtig zeichnen,
und jedem den Charakter und die Farbe,
die ihm gebührt, genau zu geben wissen.

Kaum kann der Knabe reden, kaum bezeichnet
sein kleiner Fuß mit sicherem Tritt den Boden,
so spielt er gern mit Kindern seines Alters!
erbost sich leicht um nichts, läßt durch ein Nichts
sich wieder auch besänftigen, und verändert,
wie ein Apriltag, sich von Stund zu Stunde.

Der Jüngling ohne Bart, von seinem Hüter endlich
befreit, hat Lust zu Pferden und zu Hunden,
er liebt im sonnenreichen Campus sich herum-
zutummeln, nimmt wie Wachs des Bösen Eindruck an,
weist guten Rat und Warnung trotzig ab;
denkt immer an das Nützliche zuletzt;
verstreut sein Geld wie Sand, ist stolz und rasch
in seinen Leidenschaften, aber läßt,
was er mit Hitze kaum geliebt, gleich schnell
für etwas Neues, das ihn anlockt, fahren.

Bald ändert sich das alles, und an Jahren
und Denkart nun ein Mann, bewirbt er sich
um Freunde, Rang, Vermögen, Ehrenstellen,
er lebt nach einem Plan, und hütet sich
nichts zu beginnen, das ihn reuen müßte.

Dem Alten kommt viel Not und Ungemachs
unmerklich übern Hals, entweder, weil er immer
zusammenscharrt, und doch, aus Furcht zu darben,
sich den Gebrauch verweigert - oder, weil
er alles kalt und furchtsam treibt, und überall
Bedenklichkeiten sieht. Er zaudert immer,
setzt immer weiter sich sein Ziel hinaus,
verliert den gegenwärtigen Augenblick
und lebt im künftigen; voller Schwierigkeiten,
verdrießlich, übeltrauend, hat er immer was
zu klagen, ist der ewige Leichenredner
der weiland guten Zeiten, da er noch
ein Knabe war, der ewige Censor und
Zuchtmeister aller jüngern, die jetzt sind
was er, zu seiner Zeit, gewesen war.

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